Zusammenfassung

In diesem Projekt werde ich die Mechanismen des Wissenstransfers und der Autoritätsbildung in einer Schlüsselepoche der europäischen Geistesgeschichte untersuchen : dem 15. Jahrhundert, einer Zeit, in der die Universitätskultur dank der Einführung des Buchdrucks und der Gründung neuer Universitäten in Mittel- und Osteuropa aufblühte.

Mein Beobachtungspunkt wird von einem besonders bedeutenden Fallbeispiel gebildet, nämlich den Werken des Pariser Meisters Johannes Versoris († 1482), dessen europäische Verbreitung ein wahres verlegerisches Phänomen darstellt. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden diese Texte, die das gesamte Studienprogramm der Philosophie umfassen, nämlich mehrfach kopiert, überarbeitet und gedruckt, insbesondere an den neuen Universitäten in Mitteleuropa, an denen diese Kommentare zur Grundlage des Unterrichts wurden und somit einen enormen Einfluss auf das mittelalterliche und neuzeitliche Denken ausübten. Während die älteren Abschriften größtenteils anonym sind, wird die Zuschreibung an Versoris in den Neubearbeitungen dieser Texte in Mitteleuropa immer deutlicher, bevor sie sich in den Inkunabeln stabilisiert. Die verschiedenen Etappen dieser Umschreibung - die sowohl einen Prozess des wissenschaftlichen Transfers als auch der Schaffung von Autorität darstellt - sind in der Geschichtsschreibung noch immer unerklärt.

Mein in zwei Teile gegliedertes Projekt zielt darauf ab, diese Prozesse zu klären, indem es die Natur dieser Texte, die Gründe für ihren durchschlagenden Erfolg sowie die Modalitäten ihrer geschichteten Neuausarbeitung und Verbreitung untersucht. Der erste Teil ist historisch-philologischer Natur und wird dieses einflussreiche Korpus rekonstruieren, indem er über die Manuskripte und Inkunabeln berichtet, die es überliefern, sowie über die Akteure, die zu seiner Verbreitung beigetragen haben (Kopisten, Meister, Herausgeber).

Diese Daten bilden die dokumentarische Grundlage für die historisch-philosophische Studie, die den zweiten Teil des Projekts ausmacht. Durch intertextuelle Analysen und eine historische Perspektive werde ich das Gedankengut in den Versoris zugeschriebenen Texten anhand einer Auswahl von Themen untersuchen, die im Mittelpunkt der Diskussionen über das logisch-metaphysische System und die Naturphilosophie standen, die an allen europäischen Universitäten geführt wurden. Die gemeinsame Analyse der Ergebnisse der historisch-philologischen und der historisch-philosophischen Studie wird es mir ermöglichen, drei Arbeitshypothesen zu testen, die ich entworfen habe, um das Wesen - und den Erfolg - der Johannes Versoris zugeschriebenen Werke zu erklären.

Projektsnummer: PZ00P1_216086